Kolumne: Neue Esskultur


von Vera - Nicest Things

Warum man öfter gemeinsam essen sollte

Es ist Dienstag Abend. Ich sitze seit Stunden am Schreibtisch und bekomme langsam Hunger. Fix fülle ich eine Dose Kichererbsen in eine Schüssel, schütte Essig darüber und verziehe mich wieder vor den Laptop. Während ich mit der linken Hand löffle, klicke ich mit der rechten weiter in meinen Mails rum.
Mein Mann kommt ins Arbeitszimmer, fragt: „Hast du schon gegessen?“ Ich: „Yep.“ Er geht in die Küche, macht sich eine Tiefkühlpizza und verschwindet damit aufs Sofa.
Klingt gar nicht mal so ansprechend, nicht wahr? Beziehungstechnisch, gesundheitlich und im Hinblick auf Genuss ein Trauerspiel. Wir sollten wieder viel öfter gemeinsam essen!

Wenn ich zurückdenke, sind gemeinsame Mahlzeiten unter den schönsten Erinnerungen ganz vorne mit dabei. Zum Beispiel das Geburtstagsessen meines Vaters, zu dem sich die ganze Familie am fein gedeckten Tisch versammelte und sich Entenbrust vom Weinlaub-Geschirr schmecken ließ. Oder das Strandpicknick mit unseren Freunden in der Bretagne, nach einem langen Badetag, mit Baguette, Käse und Cidre aus der Flasche.
Dies zeigt, wie sehr gemeinschaftliches Essen mit dem emotionalen Gedächtnis verbunden ist, wie sehr es uns und unsere Geschichte prägt. Jede Mahlzeit, und sei sie noch so improvisiert, kann eine solche Erinnerung für uns werden.

Klar, manchmal hat man wenig Zeit. Da liegt es nahe, den Punkt Essen schnell im Alleingang abzuhaken. Aber mal anders betrachtet: Essen muss man sowieso. Warum nicht gleich die Zeit nutzen, dies gemeinsam zu tun? Gerade, wenn man sonst kaum Gelegenheit findet, sich zu treffen. Es muss ja kein ausuferndes Dinner sein. Sich mit der Lieblingskollegin in der Mittagspause eine Butterbrezel teilen und sich auf den neuesten Klatsch-Stand bringen, dauert auch nicht länger, als sich die Brezel alleine reinzuziehen.

Essen ist aber nicht nur sozialer Kitt für die Beziehung zu Kollegen und Freunden, sondern auch für die Beziehung zum Partner. Man sagt nicht umsonst, dass Liebe durch den Magen geht. Essen ist Nähe, Genuss, ein Mini-Urlaub im Alltag. Ich behaupte, dass eine gemeinsam gebackene und verzehrte Steinpilzquiche eine Beziehung weitaus mehr stärkt als eine gemeinsam verfasste Steuererklärung.

Außerdem ist das Ritual, sich mit seiner Sippe am Lagerfeuer zu treffen, ungefähr so alt wie die Menschheit selbst. Es liegt in unseren Genen. Wir wollen das! Alle schreien nach PaleoErnährung, einer Ernährung nach steinzeitlichem Vorbild - so richtig echt steinzeitlich wird’s aber erst, wenn die ganze Bande vereint ist.

Und wer hätte es gedacht, gesünder sind gemeinsame Mahlzeiten auch. Kinder, die regelmäßig mit der Familie essen, nehmen mehr frische, vitamin- und mineralstoffreiche Lebensmittel zu sich.* Auch später behalten sie eher ein gesundes Essverhalten bei, Essstörungen wird vorgebeugt.

Unser Plan für heute Abend steht jedenfalls: Wir werden uns auf ein Date in der Küche treffen, unsere Pizza mit frischem Gemüse pimpen, uns damit zu zweit aufs Sofa hauen und das vierzigminütige Lagerfeuer-Video auf YouTube schauen. Und wenn mir mein Mann wieder alles wegfuttert, haben wir immer noch genug Kichererbsen in der Vorratskammer.


*Studie der Universität Illinois: hdfs.illinois.edu/directory/bhfiese

Kolumne "Nicest Things" - Neue Esskultur
Kolumne "Nicest Things" - Neue Esskultur